Bitte alles aussteigen
Sechstes Rheinsberger Bahnhofsfest: Hunderte Bahnfans erkunden Bahngeschichte

Hunderte Passagiere der Regionalexpress-Linie 6 steuern ihn werktäglich an - steigen allerdings in Velten oder Neuruppin aus. Bis zur Endstation "Rheinsberg/ Mark - bitte in Fahrtrichtung rechts aussteigen" schaffen es nur die wenigsten Fahrgäste. Grund genug, den Haltepunkt am Südrand der Stadt ein Wochenende lang ausgiebig zu feiern: Während des sechsten Rheinsberger Bahnhofsfestes haben hunderte Bahnliebhaber Gleisanlage und Lokschuppen inspiziert - zu Fuß oder schwitzend auf der Draisine. Wer sich im Sonnenschein nach einem Badesee sehnt, ist ebenfalls auf dem richtigen Weg: Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Rheinsberger Bahnhof haben die Strecke in Richtung Stechlinsee befahrbar gemacht. Mit einer Ferkeltaxe absolvieren stündlich Ausflügler die 22-minütige Fahrt - bislang ein seltenes Ereignis, schließlich dienen die Gleise momentan zum Abtransport einzelner Bauteile des Kernkraftwerks. Wer einen Aktiv-Urlaub bevorzugt, ist auf dem Abstellgleis an der richtigen Adresse: Hier halten die Rheinsberger Bahnhofsfreunde ihre Draisine bereit. 500 Meter führt das Gleis in Richtung Stadtausgang, dann wird umgedreht. AlIemal genug Wegstrecke, um sich für die beschauliche Art des Bahnfahrens zu begeistern: "Echt gemütlich" meint etwa der achtjährige Leon aus Berlin-Kreuzberg.
Kein Wunder, er darf beinebaumelnd die Landschaft genießen. Papa Matthias Wegner scheint die Fahrt ebenfalls gefallen zu haben - allerdings bleibt ein hochgestreckter Daumen der einzige Kommentar des atemlosen Mannes.
Abkühlung finden Vater und Sohn im schattigen Lokschuppen: Hier haben die knapp 40 Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft die Rheinsberger Eisenbahngeschichte minutiös rekonstruiert, alte Fahrpläne und Schwarzweiß-Fotos beweisen, dass der Rheinsberger Bahnhof nicht immer Endstation war. Ein großes Kapitel widmet sich etwa der Strecke nach Flecken Zechlin: "Eine der landschaftlich tollsten Strecken überhaupt, gar nicht mit Gold aufzuwiegen", schwärmt der AG-Vorsitzende Udo Blankenburger. Selbst befahren konnte der Rheinsberger die Gleise nie - die gingen nach Kriegsende als Reparationszahlungen an die Sowjetunion. Dafür fährt Udo Blankenburger an fast jedem Arbeitstag im Rheinsberger Bahnhof ein - als Zugbegleiter im Regionalexpress nach Berlin. Es sei eine hübsche Strecke, nur: "In Neuruppin steigt fast alles aus. Bis dort ist der Regionalexpress hui, bis Rheinsberg aber pfui. Wer drin bleibt, fragt sich: ,Was, noch eine Stunde bis Rheinsberg?´" Da kann Rheinsbergs Bahnhof noch so hübsch sein: "Bei mehr als zwei Stunden Fahrt spazieren die Leute lieber durch Neuruppin."
Tobias Felsch
(MAZ (Ruppiner Tageblatt), 2004-09-06)


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